„Warmzeit in Antarctica“ lautete die Überschrift des Artikels aus der Beilage Natural Observer der Zeitschrift New York World Report vom 3. Januar 1998, den Ash jetzt in Händen hielt. Offenbar ein Interview. Ash begann zu lesen:
Ist es in unseren Breiten warm, weil es in der Antarktis kalt ist? Könnte es sein, dass bei uns im Norden eine Eiszeit herrscht, sobald es im polaren Süden wärmer wird? Neueste Erkenntnisse der Klimaforschung scheinen darauf hin zu deuten, dass genau dies bis vor etwa dreizehntausend Jahren der Fall war. Wir befragten Professor Robert Arvin vom Antarctic Climate Project der Johns Hopkins University in Baltimore zu neuesten Funden auf der antarktischen Halbinsel.
Was war das ursprüngliche Ziel Ihrer Suche?
„Auch wenn viel von wärmeren Jahren geredet wird, ist es sicher, dass die nächste Eiszeit früher kommt, als wir annehmen. Die Frage ist nur, wann? Und wie kündigt sich ihre Entstehung an? Um die Antworten darauf zu finden, begannen wir damit, in dem unter einer Eiszeit begrabenen Boden nach dem letzten Tag der vorangegangenen Warmzeit zu suchen.“
Wo konnten Sie den finden?
„Das einzige Gebiet der Erde, das heute von einem kilometerdicken eiszeitlichen Eisschild bedeckt ist und das vor weniger als einhunderttausend Jahren möglicherweise mildere Temperaturen gesehen haben könnte, ist die antarktische Halbinsel. Wir haben dort nach einem Punkt innerhalb eines geschlossenen Felsbeckens gesucht, an dem wir sicher sein konnten, eine ursprüngliche Bodenoberfläche vorzufinden, die nicht schon vor langer Zeit von Gletscherströmen abgehobelt und in das Meer geschoben worden war. Nach einem zweijährigen Programm der Auswertung von Luftaufnahmen entschieden wir uns für ein Gebiet in den Latady Mountains, zwischen Mount Terrazas und Schmitt Mesa, südwestlich vom Zusammenfluss der Irvine und Wetmore Gletscher, unmittelbar nördlich des 75. Breitengrades in Palmer Land. Als wir unsere erste Bohrung niedergebracht hatten, stellten wir fest, dass es dort unterhalb von 1600 Metern Tiefe Eisschichten gab, die jünger waren als die darüber.“
Das hört sich paradox an. Wie konnte es dazu kommen?
„Aus höher gelegenen älteren Gletschern haben herabstürzende Eisströme unter dem Druck neuer Schneemassen einen Talkessel gefüllt, der vorher lange eisfrei war, sich jedoch am Grund mit jüngerem Eis aus Niederschlägen gefüllt hatte.“
Mit anderen Worten, es könnte dort unterhalb der Gletscher warm gewesen sein wie in einem Alpental. Worauf sind Sie am Grund Ihrer Bohrung gestoßen?
„Wir fanden einen großen Holzsplitter der chilenischen Zeder, Austrocedrus, die zur Familie der Cypressen gehört und eine Höhe von mehr als zwanzig Metern erreichen kann. Bisher war nur ein einziger Fund prähistorischen organischen Materials bekannt, ein drei Millionen Jahre altes Holzfragment eines Kriechbaums aus der Nothofagus-Familie, das Mark Mabin auf 85 Grad südlicher Breite hoch oben im Transantarktischen Gebirge gefunden hatte. Die Radiocarbondatierung unseres Fundes ergab das radikal geringere Alter von dreizehntausend Jahren – bei aller Vorsicht, mit der man das Ergebnis bei klimatisch weitgehend unbekannter Historie der Fundstätte bewerten muss.“
Was bedeutet Ihre Entdeckung für das Verständnis unserer klimatischen Zukunft?
„Sie bedeutet zunächst, dass wir die Erdoberfläche des letzten Tages einer ebensolchen Warmzeit gefunden haben wie wir sie gegenwärtig auf der Nordhalbkugel erleben. Damals, vor dreizehntausend Jahren, hat während der Latady-Warmzeit ein Baum in der Antarktis gestanden.
Wie konnte es dazu kommen? Welcher rätselhafte Mechanismus ist es, so fragt man sich seit den Forschungen von Stocker und Crowley 1992, der eine große Eiszeit zwischen Nord und Süd wie ein Pendel hin- und herwandern lässt? Eine Ursache könnte das System der atlantischen Meeresströmungen sein. Angenommen, der Golfstrom versiegte im Laufe der letzten Eiszeit, als nordamerikanische Gletscher in den Atlantik rutschten. Dann hätte die große Wärmeströmung vor Mittelamerika den warmen Brasilienstrom von Nord- nach Südamerika verstärkt und direkt als einen Golfstrom des Südens, auf die antarktische Halbinsel gelenkt, diese erwärmt, die nördliche Halbkugel dagegen tiefer in die Kälte der Wisconsin-Eiszeit gestürzt.
Was immer wir dort unter dem Eis der Latady Mountains in unserer zweiten Bohrung noch finden mögen, es wird uns die Frage beantworten, wie viele Jahrtausende hindurch es auf der antarktischen Halbinsel warm gewesen war, als vor dreizehntausend Jahren das Eis dorthin zurückkehrte. Können wir diese Frage beantworten, haben wir die Antwort auf die wichtigste Frage: Wie viel Zeit bleibt uns bis zu dem letzten Tag unserer Warmzeit im Norden?“