Ostsee-Zeitung, 06.Juni 2003, Thriller aus Fakten und Fiktion!
Richard Hayer verknüpft in seinem Roman „Palmer Land“ Utopie und Geschichte
von G. Müller-Waldeck
Richard Hayers Taschenbuch-Wälzer „Palmer Land“ zeigt auf dem Cover Palmen vor Eisbergen. Wenn die antarktische Halbinsel gleichen Namens auch nichts mit Tropengewächsen zu tun hat – sie heißt nach einem amerikanischen Walfänger – , das Buch hat es sehr wohl: mit Palmen, mit den Pyramiden, mit Sibirien, mit Zürich, ja mit dem ganzen Erdball. Und mit dessen eisiger Südkalotte besonders.
Natürlich gibt es Gute, natürlich gibt es Böse, deren Zugriff längst nicht mehr auf das Vermögen des Nachbarn oder umkämpfte Rohstoffreserven reicher Regionen zielt, sondern auf Weltherrschaft und auf ein gigantisches Projekt, das hier fairerweise nicht verraten wird und ASTRA heißt, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen TV-Satellitensystem. Und es gibt – neben geheimnisvollen Morden – eine Liebesgeschichte und ein halbwüchsiges Geschwisterpaar, das überall dazwischen gerät, beobachtet, eingreift, bis der Bruder entführt wird.
Geplant wird ganz in Jules Vernes Tradition von bösen Mächten eine völlige Umstrukturierung des Planeten. Ein für arktisches Bauen spezialisierter britischer Baumanager geht dagegen an, wird erpresst, hat für die mitreisenden Kinder seines schweizerischen Auftraggebers die Verantwortung, die er an eine junge attraktive und eigens dazu engagierte Frau delegiert.
Sicher – die Individualstory ist ein wenig von der Stange, aber von einer soliden, aus einer Legierung von bewährtem und neuem Material gefertigten. Auch bei der Liebesgeschichte wird uns nicht nur das ewige hollywoodische „Pass auf dich auf, Liebling!“ erspart, sondern durchaus der Versuch einer Individualisierung gewagt. Überhaupt werden die zentralen Gestalten mit achtbarem erzählerischen Aufwand über ihre Comic-Herkunft hinausgehoben.
Ob es wirklich die Story ist, die den Leser des Buches bei besagter Stange hält, muss jeder für sich entscheiden: Mir scheint das Faszinierende die Verbindung und Vernetzung der erzählten Geschichte mit sorgsam recherchiertem Tatsachenmaterial.
Der Autor ist promovierter Physiker und gehört zu den Managern eines Großkonzerns. Der Roman ist seine erste größere Prosa-Arbeit. Es ist beachtlich, was er an seiner Parade-Piste an Slalomtoren aufbietet, durch die er, anfangs noch weitausgreifend kurvend, dann aber mit zunehmendem Tempo und ohne zu reißen sich mit seiner Geschichte hindurchbringt: Die Polverschiebung, das antarktische Eismassiv als erdgeschichtliches Archiv, in das – man höre und staune – Spuren alter Menschheitskultur eingeschlossen sind, die Pyramiden nicht nur als spannende Geheimanlagen sondern uralte astronomische Peilmarken und eine Fülle von Energiegewinnungsfragen, über die der Laie staunt und der Fachmann sich wahrscheinlich gar nicht wundert.
All diese und viele andere naturwissenschaftliche Fakten, Erkenntnisse, Prognosen, Theoreme werden hier mit Überzeugungskraft zu einem Stück sehr lesbarer Lektüre verflochten, in der auch Karten und Piktogramme nicht fehlen. Es ist ein Buch, hinter dem Recherchefleiß, erzählerische Gelassenheit, auch Humor und Spielfreude stehen und das geschickt „inszeniert“ ist. Und wer an der Stichhaltigkeit des Hintergrundes zweifelt oder an Ahnungslosigkeit leidet, dem verschafft der Autor durch das seriöse Nachwort letzte Klarheit: Hier benennt er alle wichtigen Quellen